CVI-Beratungsstelle
Im Jahr 2017 offiziell gegründet, ist die CVI-Beratungsstelle ein Zusammenschluss verschiedener Fachgruppen des SBZ, die sich mit der Diagnostik, Beratung, Förderung, Hilfsmittelberatung und der schulischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit visuellen Wahrnehmungsstörungen befasst. Zur Sicherung eines hohen wissenschaftlich-fachlichen Standards unseres diagnostischen und therapeutischen Angebotes kooperieren wir im Rahmen von Forschungsprojekten mit dem Department für Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Aus dieser Forschungsarbeit, die 2010 initiiert und ab 2012 umgesetzt wurde, entstand auch die Gründungsidee der multidisziplinären Beratungsstelle, um über Forschungsprojekte hinaus eine dauerhafte Versorgung betroffener Kinder und ihrer Familien gewährleisten zu können.
Audiobeitrag
Visuelle Wahrnehmungsstörungen.
Die ehemalige Direktorin Hildegard Mayr, die Psychologinnen Dr. Lydia Unterberger und Anna Myriam Lippenberger beschreiben die einzigartige multidisziplinäre Beratungsstelle für visuelle Wahrnehmungsstörungen. Diese befasst sich mit der Diagnostik, Beratung, Förderung, Hilfsmittelberatung und der schulischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
Unser Angebot
- Diagnostik:
- Neuropsychologische Untersuchung der verschiedenen visuellen Wahrnehmungsleistungen sowie der kognitiven Fähigkeiten
- Orthoptische Untersuchung
- Beratung:
- Beratung für betroffene Kinder und Eltern bzw. Bezugspersonen
- Beratung von Erziehern und Lehrern, die mit Kindern mit CVI arbeiten
- Förderung:
- Für Schülerinnen und Schüler unserer Einrichtung: Sehförderung mit Hilfe spezieller, teilweise Software-basierter Übungsverfahren unter persönlicher Anleitung (vor allem Überblick und visuelle Suche; Raumwahrnehmung und visuell-räumliche Konstruktion; Lesen)
- Für externe Kinder und Jugendliche: Software-basierte Übungsverfahren einschließlich Anleitung, Supervision und Beratung für die Förderung zu Hause bzw. in der schulischen Einrichtung
Weiterführende Angebote in Kooperation mit weiteren Fachbereichen des SBZ
- Frühförderung:
- Visuelle Wahrnehmungsförderung für Kinder bis zum Schuleintritt
- Schulische Unterstützung:
- Anbindung an den MSD bzw. die MSH zur Unterstützung der Bewältigung des Alltages in Schule und Kindergarten
- Schullaufbahnberatung:
- Beratung und Unterstützung in der Wahl einer geeigneten Schulform
- Hilfsmittelberatung:
- Beratung und Erprobung geeigneter Hilfsmittel (z. B. Beleuchtung und vergrößernde Sehhilfen)
- Weitere Beratungsmöglichkeiten:
- Orientierung und Mobilität, Berufswahl, Lebenspraktische Fähigkeiten
Unser Vorgehen
Kinder, die in unserer Beratungsstelle vorgestellt werden, werden umfassend orthoptisch und neuropsychologisch untersucht. Unsere Diagnostik muss dabei immer dem Anspruch genügen, ganzheitlich, umfassend und multidisziplinär zu sein. Einen Augenarztbefund bringen die Familien im Normalfall mit; alternativ kann ein zusätzlicher Termin bei unserer kooperierenden Augenärztin vereinbart werden.
Im Rahmen eines Beratungsgespräches werden die Untersuchungsergebnisse mit den Eltern besprochen. Erhärtet sich der Verdacht auf eine visuelle Wahrnehmungsstörung, werden Möglichkeiten der therapeutischen Unterstützung geprüft und eingeleitet.
Besteht darüber hinaus noch Bedarf an Sehfrühförderung, schulischer Unterstützung, technischen Hilfsmitteln oder weiteren Hilfestellungen im Alltag, können in Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen unserer Einrichtung entsprechende Schritte veranlasst werden.
Für Spenden zur dauerhaften Sicherung unseres Angebotes sind wir sehr dankbar!
Visuelle Wahrnehmung und visuelle Wahrnehmungsstörungen im Kindesalter
Zur visuellen Wahrnehmung gehören alle (Teil-) Leistungen, die es uns ermöglichen, optische Reize in der Umwelt zu entdecken, zu unterscheiden und zu erkennen. Dazu zählen z. B. das Gesichtsfeld, die Sehschärfe, das Kontrastsehen, das Farbsehen, die Raumwahrnehmung sowie visuelle Fähigkeiten, die das Wiedererkennen und Verstehen komplexer Reize (Formen und Figuren, Objekte, Gesichter, Szenen, Orte und Wege, Buchstaben und Zahlen, Gesichtsausdruck und Gesten) ermöglichen.
CVI (Cerebral Visual Impairment)
Eine zerebral verursachte visuelle Wahrnehmungsstörung (kurz CVI, aus dem Englischen von Cerebral Visual Impairment) bedeutet daher eine Beeinträchtigung des Sehens, die durch eine unvollständige oder fehlerhafte Verarbeitung visueller Eindrücke im Gehirn entsteht. Neben den Begriffen visuelle Wahrnehmungsstörung und Cerebral Visual Impairment (CVI) haben sich auch die Begriffe „Visuelle Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung“ (VVWS), „Zentrale visuelle Wahrnehmungsstörung“ (ZVWS), „Neurological Visual Impairment“ (NVL) und „Cortical Visual Impairment“ (CVI) als Synonyme hierfür etabliert.
Sehschwierigkeiten im Alltag
CVI ist immer eine Sehbeeinträchtigung, die nicht (oder nicht ausreichend) durch Funktionsstörungen in den vorderen Augenabschnitten erklärt werden kann. Beobachten Eltern, Lehrkräfte oder Erzieherinnen und Erzieher bei einem Kind im Alltag Sehschwierigkeiten, wird zunächst eine augenärztliche und orthoptische Untersuchung angestrebt. Kann diese die beobachteten Sehprobleme nicht vollständig erklären, besteht der Verdacht auf eine visuelle Wahrnehmungsstörung (CVI).
Möglichkeit kognitiver Schwierigkeiten
Visuelle Wahrnehmungsstörungen bei Kindern können alle o.g. visuellen Wahrnehmungsleistungen isoliert oder in Kombination betreffen. Zusätzlich finden sich oft auch Auffälligkeiten in den vorderen Augenabschnitten. Kinder mit CVI können außerdem auch kognitive Schwierigkeiten (z.B. verminderte Konzentrationsfähigkeit) aufweisen. Beide Störungsbilder können die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit zusätzlich beeinträchtigen bzw. bestehende visuelle Wahrnehmungsprobleme verstärken. Ursachen von CVI können Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt sein, aber auch genetische Grunderkrankungen und frühkindliche Hirnschädigungen nach der Geburt.
Typische Symptome von CVI bei Kindern sind:
- Unzureichender visueller Überblick (erschwertes bzw. unvollständiges Erfassen der aktuellen Umwelt „mit einem Blick“)
- Übersehen von Gegenständen (z. B. Möbel in der Wohnung, Hindernisse und Unebenheiten auf dem Weg) und damit verbunden gehäuftes Anstoßen, Stolpern und Stürzen
- Schwierigkeiten in der Raumwahrnehmung (Danebengreifen, ungenaues Abschätzen von Stufen; Schwierigkeiten beim freien Zeichnen und beim Abzeichnen)
- Schwierigkeiten im Unterscheiden von (ähnlichen) Formen, Objekten, Gesichtern, Wegen und Orten
- Schwierigkeiten in der sozialen visuellen Wahrnehmung (Unterscheiden und Erkennen von Gesichtsausdruck und Gestik)
- Schwierigkeiten im Lesen (z.B. ganzheitliches Worterfassen; Unterscheiden und Erkennen von ähnlichen Buchstaben)
- Mit CVI verbundene Schwierigkeiten können sich auch in Form von Verhaltensauffälligkeiten zeigen:
- Reduzierte Aufmerksamkeitsspanne, vor allem bei visuellen Aktivitäten
- Lernschwierigkeiten in der visuellen Modalität (Gehörtes wird deutlich leichter gelernt und eingeprägt)
- Vermeidungsverhalten in neuen, ungewohnten und komplexen Situationen wegen „visueller“ Überforderung
- Vermeidungsverhalten in sozial herausfordernden Situationen (z. B. Rückzug aus der Gruppe bzw. Vermeidung der Nähe anderer Kinder beim Spielen, um sich besser konzentrieren zu können und die visuelle Informationsflut zu reduzieren)
Diagnostische Erfassung und Behandlung
Die diagnostische Erfassung von visuellen Störungen bei Kindern mit CVI und ihre Behandlung stellen eine besondere Herausforderung an die interdisziplinäre Diagnostik dar. Die Untersuchung der Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farbsehen, Tiefenwahrnehmung sowie der okulomotorischen Funktionen (Vergenz, Fusion, Akkommodation, Binokularsehen; Fixation, Sakkaden und Folgebewegungen) fallen in das Fachgebiet der Augenheilkunde und der Orthoptik. Die Untersuchung von Leistungen der visuellen Wahrnehmung (Raumwahrnehmung und Raumorientierung, visuelles Erkennens von Gegenständen, Gesichtern, Orten und Wegen sowie Lesen) fällt in das Aufgabengebiet der Neuropsychologie. Die Komplexität der unter CVI zusammengefassten visuellen Störungsbilder erfordert jedoch in jedem Fall eine fachübergreifende diagnostische und therapeutische Vorgehensweise, die auf das individuelle positive und negative visuelle Leistungsbild eines Kindes abgestimmt ist.
Literaturempfehlungen für Eltern und Interessierte
Bals, I. (2009). Zerebrale Sehstörung: Begleitung von Kindern mit zerebraler Sehstörung in Kindergarten und Schule. Würzburg: Edition Bentheim
Zihl, J., Mendius, K., Schuett, S. & Priglinger, S. (2012). Sehstörungen bei Kindern. Wien: Springer.
Zihl, J. & Dutton, G. N. (2015). Cerebral Visual Impairment in Children. Wien: Springer.
Unterberger, L. (2016). Kindliche zerebrale Sehstörungen (CVI). München: Utz